Vorbereitungen
Bludenz, 08.07.2012 – Es beginnt mit einer kurzen Tour durch Bludenz. Zuvor hatte ich meinen Bruder einige Tage in Siggenthal besucht und mich von meinen Eltern nach Bludenz bringen lassen. Von hier aus soll es morgen früh zu einer mehrtägigen Tour in Richtung Feldthurns gehen.
Doch heute Abend heißt es erst noch mal Kräfte sammeln und die Unruhe im Bauch zu verarbeiten: Habe ich alles eingepackt? Bin ich konditionell ausreichend vorbereitet? Werde ich heile in Feldthurns ankommen? Was erwartet mich auf dieser Tour?
Den Blick auf diesen Abend gerichtet mache ich noch mal eine kleine Tour durch Bludenz, fahre Pizza essen und erkunde den Ort.
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Abends teste ich dann noch mal Schwimmbad und Sauna des Hotels um ein wenig zu entspannen, sofern davon vor der ersten Fernradtour in Eigenregie die Rede sein kann.
Tag 1 – Bludenz – Tschuppbach
Bludenz, 09.07.2012 – Um sechs klingelt der Wecker, aber meine innere Uhr und Unruhe haben mich auch so rechtzeitig geweckt. Ab 06:30 Uhr frühstücken, das ist nicht in jedem Hotel möglich. Hier bin ich heute nicht der einzige „Frühaufsteher“, der einen herrlichen Panoramablick auf die Berge beim Frühstück genießt. Über den Bergspitzen hängt eine dicke Wolkendecke, so hoch hinaus wie gestern Abend kann man heute nicht schauen. Gut gestärkt checke ich um 7:30 aus um mich auf den Weg ins unbekannte zu machen. Noch mal ein Blick ins Zimmer. Ich habe hoffentlich alles eingepackt? Zumindest liegt nix mehr rum. Auf gehts also zum ersten Einzelabenteuer in den Bergen.
Abseits der Hauptstraße geht es auf gut ausgebauten Radwegen in Richtung Schruns und anschließend weiter in Richtung Partennen. Leider ist der Radweg dann teilweise jedoch nicht mit dem Rennrad befahrbar, sodaß ich auf die Hauptstraße ausweichen muss. Trotzdem komme ich gut voran bis ich mit Partenen den Fuß des Silvrettapasses erreiche.
Ich passiere die Mautstelle und der Aufstieg in die Wolken des Silvretta beginnt. Der Berg ist da und er gibt bei seinen Kehren keinen einzigen Höhenmeter freiwillig ab. Auf halber Höhe entschließe ich mich zu einer kurzen Pause um den Puls wieder in den Normalbereich zu bringen. Nieselregen beginnt, Reisebusse und LKW passieren meinen Pausenplatz. Was hilfts… weiter gehts. Auf der zweiten Hälfte dieses Passes werde ich von einigen Bauwagen überholt, welche von Traktoren jeden Baujahres gezogen werden. Der Nieselregen hat sich in dichten Nebel gewandelt und die Traktorfahrer sind dankbar wenn sie mich (kaum schneller als dieser verrückte Rennradfahrer) überholen.
Der Vermuntstausee auf ca. 1700 m ist von der Straße aus nur zu erahnen, so dicht ist hier der Nebel. Aber der Blick nach oben lässt hoffen. Zwar kein blauer Himmel aber es wird deutlich heller. Vier Kehren später wird es plötzlich blau über mir und die Sonne kommt durch. Nur noch einzelnen Nebelschwaden stören zwischendurch den Blick auf den wunderschönen Silvrettastausee: Der erste Pass ist gemeistert. Ein kurzer Fotostop vor der Passbeschilderung und dann ein Anruf bei meinem Kollegen. Er hat heute Geburtstag und nach einiger Zeit gelingt es ihm auf der Silvretta-Webcam zu lokalisieren und ein Erinnerungsfoto für mich und die Kollegen zu schießen.
Was folgt ist eine rasante Abfahrt fast ohne Kehren den Berg hinab. Der Tacho zeigt minutenlang Geschwindigkeiten jenseits der 70 km/h an und es ist wie fliegen! Es dauert trotzdem noch einige Zeit bis mir bewusst wird das ich gerade meine erste Solo-Abfahrt genieße. Völlig frei vom Alltag und berauscht von der Geschwindigkeit sause ich den Berg hinunter bis Galtür. Dort gönne ich mir als Belohnung für die erste Etappe ein alkoholfreies Weizenbier und eine lecker Pita beim Italiener. Relaxt!
Ich beschließe die weitere Fahrt ruhiger angehen zu lassen um noch mehr von der atemberaubenden Landschaft zu inhalieren. Es geht nun Abseits der Hauptstraße auf teilweise abenteuerlichen Feldwegen an den Berghängen entlang. Auf dem Weg durch viele kleine Orte kann ich es immer wieder kaum fassen wie schön die Natur hier ist. Erst in Landeck entschließe ich mich zu einer weiteren größeren Pause. Im Supermarkt kaufe ich ein wenig hochkalorieges Proviant für die weitere Strecke. Die nächsten Kilometer mache ich im Eiltempo wieder auf der Hauptstraße bis ich kurz vor Untergufer die Möglichkeit finde auf den gut ausgebauten Radweg zu wechseln. Aus Rasen wird wieder Reisen.
Wo werde ich heute Abend schlafen? Angenehm überrascht stelle ich fest, daß es immer wieder gut bezahlbare freie Zimmer gibt. Der Blick aufs Wetter gestattet noch einige Zeit des Radelns, aber in der Ferne sammeln sich die Wolken an den Berghängen. So entschließe ich mich gegen 16 Uhr bei einem sympatischen Gasthof in Tschuppbach einzukehren und mir ein Zimmer zu nehmen. Der Blick auf den Tacho zeigt es mir an: 121,5 km, 1972 hm liegen hinter mir. Als ich aus der Dusche komme regnet es draußen… das war Timing. Abends sitze ich noch ein wenig im Schankraum des Gasthofes und werde von den örtlichen Handwerkern zum Plausch eingeladen. Anfangs ist es schwierig den ungewohnten Dialekt zu folgen, aber mit der Zeit wird es besser. Ich erzähle von meinen Erlebnissen auf der ersten Etappe und erfahre einiges über die Abhängigkeit dieses Fleckens vom Tourismus. Irgendwie scheinen sehr vielen direkt und indirekt davon abhängig zu sein und ich genieße die warme Gastfreundschaft mit der man hier dem Fremden mit seinem Fahrrad begegnet. Müde falle ich später ins Bett: Die erste Etappe ist geschafft.
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Tag 2 – Tschuppbach – Terlan
Tschuppbach, 10.07.2012 – Auch in Tschuppbach gibt es wieder ein leckeres und reichliches Frühstück und ich schmiere mir ein kleines Lunchpacket. Mein Rad hat im offenen Radschuppen übernachtet und mir fällt ein, daß ich es gar nicht abgeschlossen habe. Erleichtert stelle ich fest, daß es immer noch unversehrt an Ort und Stelle steht als ich mich auf zur Weiterfahrt mache. Wieder geht es über einen gut ausgebaute Rad- und Wirtschaftswege weiter in Richtung Pfunds und dann Richtung Reschenpass. Die Beschilderung ist gut, verfahren fast unmöglich. Gesäumt wird mein Weg durch beeindruckende Zweitausendern zur Rechten und zur Linken.
Hinter Pfunds rolle ich an einer Gruppe von Mountainbikern vorbei. Man grüßt sich freundlich und wünscht sich eine Gute Fahrt. Dann endet die Idylle abrupt: „Der Reschenpass ist für Radfahrer gesperrt!“. Damit habe ich nicht gerechnet, was nun?
Jetzt bin ich froh die gute alte Papierkarte eingesteckt zu haben denn so bekomme ich schnell einen Überblick über die geographische Situation und entschließe mich für die Streckenvariante über die Mautstraße nach Martina (auf ca. 1000 m). Diese Strecke scheint glücklicherweise für Radfahrer freigegeben zu sein. Der Blick zum Himmel jedoch verheißt nichts gutes. Auf halber Strecke Richtung Martina setzt strömender Regen ein und bei einer kurzen Verschnaufpause in einer Galerie sehe ich nur eine Lösung, die eh auf der Strecke liegt: Ab Martina in Richtung Norbertshöhe (1461 m) hinauf und das hoffentlich schneller als die Wolken. Hier unten gibt’s genug Wolkennachschub für einen ganzen Regentag. Warten zwecklos. Also fahre ich völlig durchnässt und verschwitzt weiter in Richtung Martina und dann hinauf zur Norbertshöhe. Unterwegs treffe ich noch einen Niederländer auf Fernreise. Mit seinem Treckingrad und allen erdenklichen Packtaschen am Rad will er Richtung Venedig reisen. Wir tauschen noch einige Infos über den geplanten Streckenverlauf aus und dann entschließe ich mich möglichst schnell diesem Regeninferno zu entkommen und tatsächlich gelingt es mir. Auf der Norbertshöhe scheint die Sonne. Ich kann es kaum erwarten den Reschenpass zu erreichen und so geht es nach kurzer Pause weiter Richtung Nauders. Dort liegt er vor mir: Der Reschenpass. Auch hier hat es geregnet, aber die Sonne hat den größen Teil des Wasser bereits verdunsten lassen und so entschließe ich mich, die nassen Regensachen auszuziehen und im Plastikbeutel zu verstauen. Jetzt weiß ich warum die Plastiktüte auf der Packliste stand…
Die Weiterfahrt zur Grenzstation vor dem Reschensee verläuft problemlos. Am See entlang ist die Hauptstraße für Radfahrer gesperrt, aber den schlechte Radweg entlang der Hauptstraße lässt mir keine Wahl: Plattfuß oder LKW’s? Ich entscheide mich für die verkehrsreiche Variante. Ein schnelles Foto vom Kirchturm im Reschensee und weiter gehts in Richtung Meran.
Hinter dem Reschensee wird der Radweg wieder besser. Ab und zu gibt es Schotterpassagen, aber diese sind glücklicherweise nur wenige Meter lang, sodaß ich weiter auf dem Radweg bleibe, der hier zahlreiche Wegweiser besitzt. Es ist kaum möglich, sich zu verfahren. Was nun folgt ist eine scheinbar endlose Fahrradautobahn. Diese folgt ab Glorenza dem Lauf des Wassers und das Rauschen eines begradigten Bergbaches in einem scheinbar riesigen Bett begleitet meinen Weg bis nach Lasa. Dort mache ich im Restaurant eines Campingplatzes Rast, gönne mir kalorienreiches Mittagessen mit Alkoholfreiem Weizen (was sonst) und lehne mich im Sessel zurück um den Blick auf die Berge zu genießen. Ich hätte nie gedacht, daß die Gegend hier so schön ist. Ich fühle mich wie im Paradies und die scheinbar endlosen Obstplantagen entlang des Radweges tragen ihren Beitrag dazu bei.
In Naturno verlasse ich den Radweg für einen kurzen Abstecher zur örtlichen Eisdiele. Aus der geplanten Portion Eis werden Waffeln mit Eis, ein Eisbecher und ein großer Cappucino… der Körper will Nachschub! Dann geht’s weiter durch die Plantagen zum geplanten Etappenziel Meran. Kurz vor Meran windet sich der Radweg in zahlreichen Minikehren hinunter bis auf 400m. Dann liegt Meran vor mir. Genug für heute? Die Sonne steht noch hoch und so fahre ich durch Meran hindurch und dann an der Etsch entlang.
Kurz vor Vilpiano entschließe ich mich nach einer Unterkunft zu suchen, doch hier trennen die Obstplantagen den Radweg von der Zivilisation. Als ich dann ein ansprechendes Zimmer gefunden glaube stelle ich fest, daß man hier ausgebucht ist. Optimistisch fahre ich weiter bis Terlan, wo ich denn auch fündig werde und in einem auf den ersten Blick etwas altmotischen Hotel einchecke. Auf der Werbetafel stand „mit Pool“ und sofort beschließe ich diese Gelegenheit zur Abkühlung zu nutzen.
Das Abendessen im Hotel ist sehr … vornehm und der große Teller ist schnell gelehrt. Es war lecker, aber nach 140 km und 1522 hm brauche ich einfach etwas mehr als ein paar Nudeln. Im lokalen Supermarkt werde ich fündig und besorge mir ein paar „Nahrungsergänzungsmittel“: Chips und Cola helfen ein wenig, das Kaloriendefizit auszugleichen. Dann mache ich noch einen Spaziergang durch den Ort. Bin ich hier in Deutschland oder in Italien? Weder noch… Hier ist Südtirol und ich liebe diese Gegend immer mehr. Trotz des vollen Bauches verbringe ich die Nacht im gesunden Tiefschlaf. Der Körper hat einiges nachzuholen.
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Tag 3 – Terlan – Feldthurns
Terlan, 11.07.2012 – Frühstück gibt es erst ab acht, aber die heutige Etappe soll kurz ausfallen. So stört es mich nicht, daß ich verhältnismäßig spät gegen kurz vor Neun die Weiterfahrt aufnehme. Der GPS-Track würde mich entlang der Hauptstraße führen, aber ich entschließe mich für die Radweg-Variante denn die verspricht deutlich mehr Ruhe. So gelange ich nach einigen Kilometern in die „Fahrradstadt Bozen“ (so steht es zumindest auf dem Begrüßungsschild) aber die Radwegsituation stimmt mich weniger optimistisch. Erst hatte ich noch vorgehabt, mal in die Stadt zu fahren aber schnell weiß ich: Ich will hier raus.
Laut, viel Verkehr, kaum Radwege… so stellt sich mir der Streckenverlauf dar und ich bin froh als ich Bozen hinter mir habe. Dann geht es einer stetigen leichten Steigung folgend auf dem Radweg in Richtung Clausen. Von Clausen aus sind es nur noch wenige Kilometer bis Feldthurns… aber was wollen mir diese Zahlen auf dem Orientierungsplan sagen? Richtig, wir sind hier in den Bergen und um von 200 m auf 850 m zu kommen muss man halt noch mal 650 hm bewältigen. Eigentlich kein Problem, ausser wenn man das nicht wirklich auf dem Plan hat. So kommt mir dieses letzte Teilstück noch mal richtig anstrengend vor und die bis zu 15% der etwas ungünstig gewählten Route machen das ganze nicht leichter.
Irgendwann komme ich dann aber doch noch im Wörmaurer an wo ich mir ein großes Glas Wasser und Nudeln bestelle bevor ich mein Zimmer beziehe. Erst jetzt kann ich die 56 km und 866 hm mit einem Blick auf die Geißler Spitzen genießen. Ich habe es geschafft! Feldthurns ist erreicht.
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Anhang
Streckenverlauf: http://www.bikemap.net/route/1650350